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Schulungen, Beratungen und Ingenieurdienstleistungen auf dem Gebiet der Geometrischen ProduktSpezifikationen (ISO GPS)

Form- und Lagetoleranzen, Geometrische Produktspezifikationen (ISO GPS) in Studium und Praxis

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Vorwort zur 10. Auflage

Als ich vor etwa 30 Jahren als wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr.-Ing. Walter Jorden einige Bilder zur ersten Auflage dieses Buches gezeichnet habe (damals noch mit Tusche), hätte ich nie gedacht, dass es einmal ein derart erfolgreiches und weithin bekanntes Lehrbuch zur geometrischen Produktspezifikation (GPS) sein wird. Schon gar nicht hätte ich mir vorstellen können, dass ich einmal völlig eigenverantwortlich dieses Buch vertrete. Seit der 7. Auflage bin ich nun Koautor und bearbeite die Neuauflagen federführend, da mein sehr geschätzter ehemaliger Chef und Doktorvater mich darum gebeten hatte. Nach seinem Rückzug aus der sehr aktiven Arbeit mit den Form- und Lagetoleranzen in der Normung, Forschung und Praxis, wollte er „den Staffelstab“ an mich übergeben, da er nicht mehr so nah am Thema sei wie ich, sagte er damals. Ich war sein erster Doktorand im Arbeitsbereich der geometrischen Produktspezifikation. Dieser Begriff existierte in der Normung zu der Zeit noch gar nicht. „Form- und Lagetoleranzen“ war der in Deutschland übliche Bezeichnung für die geometrische Tolerierung sowohl in der Normung als auch in der industriellen Praxis. Daher auch der Titel, den wir natürlich bis heute beibehalten haben, auch wenn ich nun mit der hier vorliegenden 10. Auflage im Untertitel die heute international bekannte Begrifflichkeit „Geometrische Produktspezifikation (GPS)“ mit eingebaut habe.

Walter Jorden hat mich schon sehr früh ebenso in die firmeninternen Schulungen wie auch in die Seminare des VDI in Düsseldorf oder dem Haus der Technik e. V. in Essen eingebunden. Die erste Auflage dieses Buches basierte auf dem damaligen Manuskript zu diesen Seminaren. In den vergangen 30 Jahren hat sich die Normung natürlich sehr stark weiterentwickelt. Die heutige Zielsetzung der Normung und die grundsätzliche Philosophie zur Arbeit an den Normen hat sich geändert. Während man früher eher anhand von praktischen Beispielen genormt hat, existiert heute der Anspruch der mathematischen Eindeutigkeit, Vollständigkeit und insbesondere auch der Widerspruchsfreiheit. Insbesondere diese Widerspruchsfreiheit und die mathematische Eindeutigkeit waren in der Vergangenheit nicht immer gegeben. So wurden unterschiedliche Begriffe in verschiedenen Normen für identische Sachverhalte verwendet. Mathematische eindeutig definierte Algorithmen z. B. zur Definition von Bezügen oder zur Verifikation bestimmter Abweichungen gab es oft nicht. Abweichungen wurden anhand von einfachen Bildern erläutert.

Mit der zunehmenden Digitalisierung erhöhte sich selbstverständlich auch der Druck, mathematisch eindeutig beschreibbare Regeln für die Tolerierung und insbesondere für die Verifikation festzulegen. Infolgedessen wurden die Normen aufgrund des Anspruchs der (mathematischen) Eindeutigkeit und Vollständigkeit (Toolboxgedanke) zwar immer präziser, gleichzeitig aber auch schwieriger und umständlicher in der Beschreibung und Erläuterung der Toleranzproblematik. Eine heutige ISO GPS-Norm ist zum Selbststudium daher kaum noch geeignet. Man könnte ketzerisch behaupten, dass die Klarheit und Verständlichkeit der Normen auf dem Altar der mathematischen Eindeutigkeit geopfert wurde. Aber auch der Toolboxgedanke, also der Anspruch alle theoretisch denkbaren Spezifikationsprobleme mit Symbolen oder Modifikatoren abdecken zu wollen ohne über die praktische Relevanz nachzudenken, führt zu einer stetigen Komplexitätserhöhung, die für den normalen Anwender kaum noch überschauen ist.

An dieser Stelle setzt unser Lehrbuch an. Schon mit der ersten Auflage hat Prof. Jorden das Ziel verfolgt, die insgesamt ohne Zweifel nicht ganz einfache geometrische Tolerierung für die praktischen Anwender verständlich darzustellen. Er hat immer versucht, komplexe Sachverhalte mit Hilfe einfacher, nachvollziehbarer Erläuterungen und anhand praktischer Beispiele zu verdeutlichen. Diese grundsätzliche Zielsetzung habe ich seit der 7. Auflage natürlich ebenso zur Grundlage meiner Arbeit am Buch gemacht. Die zahlreichen positiven Rückmeldungen aus der Leserschaft bestätigen, dass uns das recht gut gelungen ist.

Je länger ich in der Normung mitarbeite und die Entwicklungen dort nun schon seit gut 30 Jahren verfolge, sehe ich heute mehr denn je die Notwendigkeit, für den praktischen Anwender der geometrischen Produktspezifikationen in der industriellen Praxis und im Studium einen nachvollziehbaren Leitfaden durch den internationalen Normendschungel an die Hand zu geben. Auch in der vorliegenden 10. Auflage habe ich daher nicht den Anspruch, alle Inhalte der internationalen Normen (ISO) zu 100% wiederzugeben und zu erläutern, sondern vielmehr die 90% der Inhalte, die 99% der Anwender benötigen, verständlich und nachvollziehbar darzustellen. Durch meine jahrzehntelange Arbeit in Schulung und Beratung der industriellen Praxis glaube ich, eine gute Einschätzung diesbezüglich zu haben.

Lassen sie mich abschließend noch einige sehr persönliche und für mich wichtige Ausführungen machen. Wie sie sicher gemerkt haben, ist dieses Vorwort – anders als bei den letzten Auflagen – in der „Ich-Form“ formuliert. Prof. Walter Jorden ist im Frühjahr 2018 leider verstorben. Auch wenn ich schon bei den letzten Auflagen Bilder und Texte eigenverantwortlich festgelegt habe, hat mir Prof. Jorden noch bis zur 9. Auflage als Korrektor, Ratgeber und nicht zuletzt väterlicher Förderer immer zur Seite gestanden. Die ihnen nun vorliegende Auflage musste ich ohne seinen Rat erstellen. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist und hoffentlich auch weiter gelingen wird, das Buch in seinem Sinne fortzuführen. Walter Jorden war seiner Zeit in der Erkenntnis der Sachverhalte und Probleme der geometrischen Tolerierung oft voraus. So hat er in vielen Veröffentlichungen und auch in frühen Auflagen unseres Buches bereits auf Defizite in der Normung hingewiesen, die heute oder erst in der jüngeren Vergangenheit eindeutig geklärt wurden. In diesem Sinne widme ich diese Auflage Herrn Prof. Dr.-Ing. Walter Jorden.

Anröchte, im Juli 2020
Wolfgang Schütte